Autor: Stephan Pfennig
Veröffentlicht am: 03.03.2017
Ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung von Geräten und Leiterplatten ist die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV). Die grundlegenden Anforderungen an die EMV von Betriebsmitteln (Geräten und ortsfesten Anlagen) sind im EMVG („Elektromagnetische-Verträglichkeit-Gesetz“) definiert. Allgemein kann dabei zwischen der Störaussendung und der Störfestigkeit eines Betriebsmittels unterschieden werden.
Ein Teil der Störaussendung ist die strahlungsgebundene Störaussendung (Störabstrahlung). Eine Einführung in die grundlegenden Wirkmechanismen, die zur strahlungsgebundenen Störaussendung von Leiterplatten (Printed Circuit Boards, PCB’s) führen, gibt der folgende Beitrag.
Störaussendung und Störfestigkeit
In der EMV wird typischerweise ein einfaches Modell zur Beschreibung der elektromagnetischen Beeinflussung verwendet. Dieses Modell besteht aus einer Störquelle, einer Störsenke und einem Koppelpfad. Über den Koppelpfad breitet sich das Störsignal von der Störquelle zur Störsenke aus. Zur Koppelung können verschiedene Koppelmechanismen beitragen. Prinzipiell wird zwischen der galvanischen, kapazitiven und induktiven Koppelung sowie der Strahlungskoppelung unterschieden. Das Modell unterscheidet zwischen der Störaussendung der Störquelle und der Störfestigkeit der Störsenke. Nach der Art der Ausbreitung der Störgröße wird weiterhin zwischen der leitungsgebundenen und strahlungsgebundenen Störaussendung bzw. Störfestigkeit unterschieden. [1]
Bei der Prüfung der elektromagnetischen Verträglichkeit wird ein Gerät also als Störquelle und als Störsenke betrachtet. Das heißt, bei den entsprechenden EMV-Messungen wird überprüft, ob die Anforderungen an die Störaussendung und Anforderungen an die Störfestigkeit eingehalten werden.
Nahfeld und Fernfeld
Die Messung der strahlungsgebundenen Störaussendung erfolgt in der Regel im Fernfeld der Störquelle, d.h. bei der Messung wird ein bestimmter Mindestabstand zwischen Prüfling und Empfangsantenne eingehalten. Dieser Abstand ist abhängig von der unteren Grenze des Frequenzbereiches. Typische Messabstände sind zum Beispiel 5 m, 10 m und 30 m.
Die Grundlagen der elektromagnetischen Abstrahlung von Antennen lassen sich mit Hilfe des elektrischen und magnetischen Elementardipols erläutern. Ausgehend von den Gleichungen des elektrischen Dipols (Hertzscher Dipol) und des magnetischen Dipols (Fitzgeraldscher Dipol) kann das sogenannte „2-Regionen Modell“ abgeleitet werden, das auf einer Vereinfachung der Gleichungen beruht und zwischen dem Nahfeld und dem Fernfeld der Antenne (Quelle) unterscheidet. Dieses Modell definiert den Abstand r0 = λ ⁄ 2π als die Grenze zwischen Nahfeld und Fernfeld. Diese Grenze ist abhängig von der Wellenlänge λ bzw. der Frequenz f. Für Abstände r kleiner als r0 liegt der betrachtete Aufpunkt im Nahfeld der Quelle und für Abstände r größer als r0 im Fernfeld der Quelle. In Tabelle 1 ist der Abstand r0 für verschiedene Frequenzen bzw. Wellenlängen angegeben. [2]
Wird die angesprochene Vereinfachung der Gleichungen nicht verwendet, kann alternativ das sogenannte „3-Regionen Modell“ abgeleitet werden. Dieses unterscheidet zwischen dem Nahfeld (r < 0,6r0), dem Übergangsfeld und dem Fernfeld (r > 5r0). [1, 2]
f in MHz | 30 | 48 | 100 | 300 | 1000 | 3000 |
λ in m | 10 | 2π | 3 | 1 | 0,3 | 0,1 |
r0 in m | 1,6 | 1,0 | 0,5 | 0,16 | 0,05 | 0,016 |
Tabelle 1 Nahfeld-Fernfeld-Grenze für verschiedene Wellenlängen bzw. Frequenzen |
Im Weiteren werden die Wirkmechanismen betrachtet, die auf PCB-Ebene zur Störabstrahlung führen. Die Erkenntnis, dass die primären Mechanismen (induktive und kapazitive Kopplung) im Nahfeld der Leiterplatte wirken, hilft, die Störabstrahlung besser zu verstehen.
Wirkmechanismen
Um die strahlungsgebundene Störaussendung von Leiterplatten minimieren zu können, ist es wichtig, die zugrundeliegenden Wirkmechanismen zu verstehen. Zum Einstieg in die Thematik ist das folgende Gedankenexperiment sehr hilfreich:
Dazu nehmen wir an, dass die größte Abmessung von Leiterplatten typischerweise nicht größer als 15 cm ist. Außerdem nehmen wir an, dass auf der Leiterplatte eine breitbandige Störquelle existiert, deren Amplitudenspektrum Frequenzanteile bis ungefähr 1 GHz aufweist.
Kontinuierliche Amplitudenspektren mit Frequenzanteilen bis in den Gigahertz-Bereich ergeben sich zum Beispiel für nicht-periodische (transiente) Zeitsignale mit Anstiegszeiten im Bereich von einigen Nanosekunden. In der Praxis treten solche Anstiegszeiten zum Beispiel beim Schalten von Induktivitäten auf.
Im zweiten Schritt nehmen wir an, dass die Leiterplatte im ungünstigsten Fall Strukturen besitzt, die als λ ⁄ 2 Antenne wirken und vom betrachteten Störsignal angeregt werden. Für Leiterplatten mit den Abmessungen d ≤ 15 cm (λ ≤ 30 cm) werden dann nur Frequenzanteile f ≥ 1 GHz direkt von der Leiterplatte abgestrahlt. Das heißt, im betrachteten Fall wird es trotz der breitbandigen Störquelle nicht zur Abstrahlung kommen. Dieses einfache Beispiel zeigt, dass die Störaussendung typischerweise nicht direkt strahlungsgebunden erfolgt.
Falls sich im Nahfeld der Leiterplatte jedoch Strukturen befinden, in die das elektrische bzw. magnetische Nahfeld einkoppeln kann, wird es zunächst zu einer kapazitiven bzw. induktiven Koppelung kommen. Diese Strukturen können dann als Antennen wirken und das eingekoppelte Störsignal abstrahlen. Die an eine Leiterplatte angeschlossenen Kabel sind ein typisches Beispiel für solche Strukturen.
Antennenstrukturen
Damit die im Nahfeld vorhandenen Strukturen effektiv als Antenne wirken können, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Es werden zwei Elemente benötigt, die nicht elektrisch klein sind, d.h. deren Abmessungen nicht klein im Vergleich zur Wellenlänge λ sind und zusammen als Antenne wirken können. Weiterhin wird eine Störquelle benötigt, welche die beiden Antennenelemente relativ zueinander speist. [3]
Auf PCB-Ebene sind verschiedenste Konfigurationen möglich, die als Störquelle wirken können. Allgemein kann zwischen zwei Arten von Störquellen unterschieden werden, den spannungsgetriebenen und den stromgetriebenen Störquellen. Anhand von zwei Beispielen werden diese im nächsten Abschnitt erläutert. [3]
Spannungsgetriebe und stromgetriebene Störquellen
Eine spannungsgetriebene Störquelle liegt vor, wenn die zur Abstrahlung notwendigen Antennenelemente durch eine Störspannung gespeist werden. Die beiden Elemente könnten zum Beispiel ein Kühlkörper und ein angeschlossenes Kabel sein. Von einem Leiterzug oder Bauteil auf der Leiterplatte könnte das Signal elektrisch (kapazitiv) in den Kühlkörper einkoppeln. Entsteht dabei ein Potentialunterscheid zwischen dem Kühlkörper und der Massefläche, mit der das Kabel verbunden ist, dann speist diese Störspannung die beiden Antennenelemente (Kühlkörper und Kabel) und kann damit zur Abstrahlung führen. [3]
Ein elektrisch langer Leiterzug wäre prinzipiell auch als Antennenelement denkbar. Typischerweise befinden sich diese jedoch unmittelbar über bzw. unter einer durchgehenden Massefläche und wirken dann nicht effektiv als Antennenelement. [3]
Eine stromgetriebene Störquelle entsteht zum Beispiel, wenn im Layout der Leiterplatte stromdurchflossene Leiterschleifen existieren, deren Schleifenflächen senkrecht auf der Massefläche stehen. Der durch eine Leiterschleife fließende Strom erzeugt ein Magnetfeld, das sich zum Teil auch um die Massefläche herum ausbildet. Dieser Anteil ist abhängig von den Abmessungen der Massefläche und bewirkt einen Spannungsabfall zwischen den Punkten der Massefläche, an den die Leiterschleife mit der Massefläche verbunden ist. Sind an den entsprechenden (gegenüberliegenden) Seiten der Leiterplatte zwei Kabel angeschlossen, die als Antennenelemente wirken, kann diese Störspannung zur Abstrahlung führen. Im Vergleich zum Nutzsignal ist die Störspannung typischerweise sehr klein, kann aber signifikant zur Störabstrahlung beitragen. [3]
Beispiel
Die Wirkmechanismen, die auf PCB-Ebene zur strahlungsgebundene Störaussendung führen, werden im EMV Experimentalseminar Störaussendung der Langer EMV-Technik GmbH an vielen praktischen Beispielen erläutert. Für das Seminar wird zum Beispiel das Seminarboard A62 verwendet, auf dem sich ein Hochsetzsteller (Boost Converter) befindet. Mit der Nahfeldsonde RF-E 02 wurde zunächst das vorhandene elektrische Feld im Frequenzbereich von 30 MHz bis 500 MHz gemessen, das kapazitiv in andere Strukturen einkoppeln kann. Die größten Messwerte ergaben sich dabei über der Induktivität des Hochsetztellers. Die am Spektrumanalysator gemessenen Störspannungen bei Positionierung der Nahfeldsonde einen Zentimeter über der Induktivität sind in Abbildung 1 dargestellt. Der gegebene Vergleich der gemessenen Spannungspegel bei eingeschaltem und ausgeschaltetem Board zeigt das Störpotential dieser spannungsgetriebenen Störquelle.
Im nächsten Schritt wurde das Seminarboard auf einem Tisch platziert und im Abstand von 3 m mit einer breitbandigen EMV-Antenne (Bilog-Antenne) die strahlungsgebundene Störaussendung im Frequenzbereich von 30 MHz bis 500 MHz untersucht. Dazu wurde das Board in der Mitte des Tisches platziert und das Netzkabel auf dem Tisch nach links geführt. Anschließend wurde ein Ende eines Laborkabels auf die Induktivität des Hochsetzstellers gelegt und das Kabel auf dem Tisch nach rechts geführt. Zwischen Board und Kabel bestand dabei keine elektrisch leitfähige Verbindung. Die Länge des Tisches beträgt 160 cm. Die beiden Kabel wurden an den Enden des Tisches nach unten geführt.
Die anschließende Messung der Störaussendung erfolgte für die in Abbildung 2 dargestellten zwei Konfigurationen, d.h. mit und ohne Laborkabel. Analog zur ersten Messung mit der Nahfeldsonde wurden die am Spektrumanalysator gemessenen Störspannungen aufgenommen und dargestellt. Da in beiden Fällen eine Aussage zu den absoluten Feldstärkewerten nicht notwendig war, wurde an dieser Stelle auf die Umrechnung der Spannungspegel verzichtet.
Die Ergebnisse in Abbildung 3 zeigen eine deutlich stärkere Störabstrahlung bei Verwendung des Laborkabels. Das heißt, das mit der Nahfeldsonde gemessene elektrische Feld koppelt kapazitiv in das Laborkabel ein. Aufgrund seiner Länge (nicht elektrisch kurz) wirkt das Kabel als zweites Antennenelement und bildet zusammen mit dem Netzkabel eine effektiv abstrahlende Antennenstruktur.
Da die Messung der Störaussendung mit der Bilog-Antenne in einem ungeschirmten Raum erfolgte, gehen auch Signale aus der Umgebung, wie zum Beispiel die UKW-Hörfunk-Signale, in die Messung ein. Die entsprechenden Frequenzen sind jedoch aus dem Vergleich mit dem gemessenen Rausch- bzw. Umgebungspegel zu erkennen.
Zusammenfassung
Die strahlungsgebundenen Störaussendungen von PCB-Ebene werden in der Regel nicht direkt von der Leiterplatte abgestrahlt, auch wenn entsprechende Störquellen vorhanden sind. Zur Abstrahlung kommt es erst, wenn die Störgrößen in andere Strukturen einkoppeln, die als Antenne wirken.
Damit eine Struktur effektiv abstrahlt, müssen zwei Antennenelemente vorhanden sein, deren Abmessungen nicht elektrisch kurz sind und von einer Störquelle relative zueinander gespeist werden. Antennenelemente können zum Beispiel Kabel, Kühlkörper, Metallschienen oder andere elektrisch leitfähige Strukturen sein. Bei den Störquellen kann zwischen spannungsgetriebenen und stromgetriebenen Störquellen unterschieden werden.
Um das Verständnis für die Störquellen, die Koppelmechanismen, die Antennenstrukturen und die daraus resultierenden strahlungsgebundenen Störaussendungen zu verbessern, werden die grundlegenden Wirkmechanismen im EMV Experimentalseminar Störaussendung der Langer EMV Technik GmbH an vielen praktischen Beispielen erläutert und zusätzlich anhand von grafischen Modellen veranschaulicht.
Literaturverzeichnis
[1] | A. J. Schwab und W. Kürner, Elektromagnetische Verträglichkeit, 5., aktualisierte und ergänzte Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2007. |
[2] | C. Capps, „Near field or far field?“, Delphi Automotive Systems, 16. August 2001. [Online]. Available: http://m.eet.com/media/1140931/19213-150828.pdf. [Zugriff am 20. Februar 2016]. |
[3] | T. H. Hubing, “Printed Circuit Board EMI Source Mechanisms”, in 2003 IEEE International Symposium on Electromagnetic Compatibility, DOI: 10.1109/ISEMC.2003.1236553, 2003. |