Die Ursachen liegen in der immer höheren Integrationsrate und kleineren Strukturbreite von ICs, den höheren Verarbeitungsgeschwindigkeiten und der rasant zunehmenden Komplexität der Elektronikprodukte.
Die größten praktischen Probleme treten im Bereich der Störfestigkeit vor allem bei ESD-Prüfungen (Prüfung nach EN 61000-4-2) auf. In der Praxis kann das zum Beispiel eine hochkomplexe Aktor-Baugruppe sein, die einen High-Speed-Datenbus und einen Mikrocontroller mit Kühlkörper besitzt.
Als weiteres Beispiel kann im Bereich der Störemission ein Umrichter eines Elektroautos erhebliche Probleme verursachen.
Die EMV-Analyse an der Elektronik und die nachfolgende EMV Nacharbeit führt nicht unbedingt zum erhofften Ergebnis. Häufig ist es so, dass trotz Nachbesserung keine merkliche Verbesserung eintritt.
Man glaubt, dass man schwerwiegende EMV-Probleme mit einem verbesserten Layoutstand der Elektronik und daraus folgend mit einem verbesserten Entwicklungsmuster lösen kann. Es gibt Situationen in denen mehrere Layoutstände keinen ausreichenden Erfolg bringen. EMV-Nachbesserungen können Konstruktionsänderungen und damit Änderungen an bereits parallel entwickelten Werkzeugen hervorrufen. Je größer und komplexer die Projekte sind und umso mehr elektronische Komponenten miteinander verschaltet sind, desto schwieriger und langwieriger wird der EMV-Lösungsweg.
Oftmals wird zur Lösung von EMV-Problemen extra ein Prototyp gebaut. Dabei verschaltet man mehrere hochkomplexe Komponenten miteinander. In diesem Prototyp wirken dann mehrere schwerwiegende EMV-Probleme gleichzeitig. Sie überdecken sich gegenseitig und sind damit noch schwerer lokalisierbar. An einem Prototyp EMV-Ziele zu erreichen, ist zu spät. Teilweise können die Ursachen der EMV-Probleme nicht gefunden werden, Konstruktionsänderungen ziehen viele weitere Aufwendungen nach sich, der Zeitrahmen der Entwicklung läuft ins uferlose.
Wo liegen die Ursachen?
Basis für das erfolgreiche Umsetzen einer Entwicklung ist das ingenieurtechnische Vorgehen im Entwicklungsprozess. Dafür werden theoretische und praktische Entwicklungswerkzeuge benötigt. Teils fehlen diese Werkzeuge für die EMV-Entwicklung. EMV-relevante Bauteile wie Steckverbinder und ICs sind in ihrem EMV-Verhalten nicht erforscht. Es existiert von diesen Teilen keine technische Definition relevanter EMV-Parameter. Demzufolge ist kein Dimensionierungsprozess im Rahmen einer EMV-Entwicklung möglich. Heutzutage baut man Bauteile wie Steckverbinder oder ICs in Entwicklungen ein, ohne zu ahnen, welche Katastrophen sie beim EMV-Test des ersten Gerätes auslösen.
Wie kann man das Problem lösen?
Für die EMV relevanten Bauteile müssen geeignete EMV-Parameter aus den Störmechanismen abgeleitet werden. Anhand zweier praktischer Beispiele werden praxisrelevante Parameter hier im Folgenden abgeleitet.
1. EMV-Parameter für IC
ICs werden einerseits durch Felder beeinflusst, die über das Gehäuse in innere Elektronikstrukturen eindringen, oder anderseits durch Ströme, die aus Leitungsnetzen des Boards über die IC-Pins ins IC-Innere eindringen (Bild 1 ).
Diesen Störgrößen lassen sich konkrete Störschwellen zuordnen. Z.B. können die PLL-Zellen oder Oszillatorzellen eines ICs empfindlich auf das elektrische Pulsfeld einer ESD Pistole reagieren. Verschlimmert wird die Situation, wenn ein Kühlkörper auf dem IC-Gehäuse aufliegt. Bei sehr empfindlichen ICs genügt eine Spannungsdifferenz zum Kühlkörper von < 100 V, um den IC zum Ausfall zu bringen! Bei einer ESD-Prüfung des späteren Gerätes werden Prüfspannungen von einigen 1000 Volt z.B. an den Kühlkörper angelegt. Trotz Erdung des Kühlkörpers werden schnelle transiente Restspannungen im selben Spannungsbereich entstehen (1000 V). Dadurch wird der IC massiv gestört.
Um Klarheit über die Eigenschaften des ICs zu bekommen, muss seine Feldstörschwelle gemessen werden.
Dazu wird über dem IC eine Elektrode angeordnet (Bild 2 ). An die Elektrode wird ein ESD-Spannungsimpuls angelegt. Um die ESD-Festigkeit bei Kühlkörperanwendung zu messen, wird der Abstand der Elektrode zum IC-Gehäuse auf 0,5 mm eingestellt. Ein hochempfindlicher IC kann z.B bei 80 Volt ausfallen. Ein robuster IC hält mehreren 1000 Volt stand. Ein EMV-Parameter von ICs ist seine elektrische Feldstörschwelle.
Wenn man für seine Elektronikentwicklung den IC mit der 80 Volt Schwelle verwendet, werden zusätzliche Maßnamen in der elektrischen und mechanischen Konstruktion des Gerätes nötig. Der Aufwand für die zusätzlichen Maßnahmen wird relativ hoch sein, er kann bei > 1 Euro liegen. Das sollte bereits zu Entwicklungsbeginn berücksichtigt werden.
Aber auch der IC-Hersteller könnte die 80 Volt Schwachstelle im IC durch Schaltungsänderung und Metall-Fix beseitigen.
Ähnlich dem Vorgehen bei Ermittlung der Störschwelle bei elektrischem Störfeld, lassen sich Störschwellen des ICs zum magnetischen Störfeld, zu den Pin-Störströmen und Pin-Störspannungen finden. Wenn man im Vorfeld einer Elektronikentwicklung die EMV-Parameter der entsprechenden Bauteile kennt bzw. klare Anforderungen an deren Entwicklung stellt, kann man EMV-Probleme vermeiden.
2. EMV-Parameter für Steckverbinder
Der EMV-Parameter von Steckverbindern soll am Beispiel eines Automobil Elektroantriebs erläutert werden. Ein Umrichter speist über einen Steckverbinder den Elektromotor eines Automobils (Bild 3). Der Steckverbinder, der ein kompliziertes Schirmsystem besitzt, wurde zum besseren Verständnis auf zwei Kontakte reduziert, den Speisungskontakt a und dem Masse- oder Schirmkontakt m. Der vom Umrichter erzeugte Einspeisungsstrom IS wird über den Speisungskontakt a zum Motor geleitet. Er fließt über den Massekontakt m des Steckverbinders zurück zum Umrichter.
Um den Massekontakt wird vom Strom das Magnetfeld H erzeugt. Dieses induziert über die Flussverkettung uStör = ω LK iS die Spannung uStör. Diese Spannung liegt zwischen Umrichter- und Motorgehäuse und treibt damit die Störemission an. Die Induktivität LK ist der Faktor, der aus der mechanischen Konstruktion folgt und der zwischen Motorstrom und induzierter Störspannung vermittelt. Er ist der gesuchte EMV-Parameter des Steckverbinders.
Wenn LK im nH Bereich liegt, wird das spätere Gerät einige 10 dB Grenzwertüberschreitung in der Störemission erzeugen. Derartige Steckverbinder kann man in der Praxis in gescheiterten Entwicklungsmustern vorfinden. Werte im Bereich um 10 pH können den Anforderungen genügen. Das sollte man zu Entwicklungsbeginn wissen und berücksichtigen.
In der Praxis glaubt man, das Problem mit der Entwicklung und Entstörung von System-Prototypen zu lösen, d.h. man entwickelt den geplanten Umrichter inklusive aller Einzelteile wie Steckverbinder, Gehäuse, Kühlsystem, usw. Wenn man nicht bereits bewährte Steckverbinder kennt, ist die Eignung der ausgewählten Steckverbinder bezüglich der EMV-Anforderung Zufall. Der Prototyp besitzt auf Grund der vielen Einzelteile viele EMV-Schwachstellen. In Funktion überlagern sich die Emissionen aller Schwachstellen. Eine Eingrenzung und Entstörung kann sich deshalb als unmöglich herausstellen. Selbst wenn man einen Steckverbinder als Ursache herausgefunden hat, weiß man dann noch nicht, welcher andere Steckverbinder die Anforderungen erfüllt. Die Verwendung eines anderen Steckverbinders ist schwierig. Das Gerätegehäuse und der Anschlussbereich auf den neuen Stecker müssen umkonstruiert werden. Die Eignung des neuen Steckers ist auch nicht sicher.
Wenn man im Vorfeld einer Elektronikentwicklung die Koppelinduktivität LK des Steckverbinders kennt bzw. klare Anforderungen (LK-Wert) an die Entwicklung eines Steckverbinders stellt, kann man diese Probleme vermeiden. (Bild 4 und Bild 5)
Mit dem Wissen um diese Zusammenhänge können IC- und Steckverbinderhersteller Produkte entwickeln, die EMV-Anforderungen erfüllen. Dabei kann man die Entwicklung zielgerichtet und kostengünstig gestalten.